ASMZ | Sicherheit Schweiz
Fritz Kälin
20.05.2023
2020 vom hauchdünnen Urnenentscheid für den Kampfjet-Beschaffungskredit aufgeschreckt, bildeten die bürgerlichen Parteien, die Wirtschaft und zahlreiche Milizverbände mit der «Allianz» eine Dachformation. In dieser permanenten Fach- und Kampagnenorganisation wollen die natürlichen Verbündeten nicht nur ihre Kräfte bei Abstimmungskämpfen rascher bündeln. Die armeefreundlichen Kräfte der Zivilgesellschaft streben in der Allianz eine vom Verteidigungsdepartement unabhängige sicherheitspolitische Deutungshoheit an. Geleitet von einem breiten, integrierten Verständnis von Sicherheitspolitik.
Der designierte Präsident des Arbeitgeberverbandes des Arbeitgeberverbandes, Severin Moser, löst den bisherigen Präsidenten Valentin Vogt auch als Vertreter im Vorstand der Allianz Sicherheit Schweiz ab. Hauptgegenstand der Generalversammlung bildete aber der Jahresbericht 2022. In Bundesbern konnte sich die Allianz in den Sicherheitspolitischen Kommissionen mit ihren Stellungnahmen zum Sicherheitspolitischen Bericht des Bundesrates von 2021 sowie zur Armeebotschaft 2022 einbringen.
Die Allianz trug dazu bei, dass nach dem Beschaffungskredit für einen Kampfjet die Beschaffung des inzwischen ausgewählten Typs nicht durch einen weiteren Urnengang verzögert wurde. Das Parlament folgte einem Antrag von Allianz-Präsident Burkart, in der Armeebotschaft 2022 den Kaufzeitpunkt bis spätestens Ende März 2023 (Ablauf der Offerten-Frist) festzulegen. Der Kaufvertrag für den F-35 Kampfjet und das Patriot Luftabwehrsystem wurden im September und Oktober 2022 unterzeichnet. Das Vorwärtsmachen der Regierung zugunsten der Schweizer Luftverteidigung flankierte die Allianz kommunikativ. Und sie deckte auf, dass bei der im Herbst 2022 zurückgezogenen Initiative gegen den F-35-Kauf die politischen Gegner eine reine Verzögerungstaktik verfolgten. Die Armeegegner wurden dabei von manchen Medien unter Verletzung professioneller Berufsmassstäbe unterstützt. Die Allianz beanstandete mit Erfolg zwei SRF-Beiträge vom 15. September. Wie schon 2021 rügte der Ombudsmann die SRF-Berichterstattung im Zusammenhang mit der Kampfjet-Beschaffung. Dies unterstreicht die Notwendigkeit, mit der Allianz eine permanente Organisation zu haben, die im nicht immer lauteren Kampf um die Deutungshoheit für die Einhaltung fairer Spielregeln sorgt.
Die Allianz konnte ihre öffentliche Bekanntheit durch ein medienwirksames Ranking steigern, dass sie beim Forschungsinstitut gfs.bern in Auftrag gegeben hatte. Die Mitglieder der Bundesversammlung wurden anhand ihrer Vorstösse und Interessenbindungen klassiert, wie stark sie sich in der laufenden Legislatur für «Sicherheit» einsetzen. Das Engagement der Allianz-Vorstandsmitglieder bescherte ihnen zu Recht Spitzenplätze. Der vom gfs.bern gewählte Massstab führte aber auch zu eher tiefen Rankings von Ratsmitgliedern, die sich schon lange vor dem 24. Februar 2022 unbeirrt für eine sichere Schweiz eingesetzt haben. Wichtig ist, dass die bürgerlichen Fraktionen und ihre Mitglieder ihren guten sicherheitspolitischen Rankings auch in der Finanzpolitik gerecht werden. Bekanntlich will der Bundesrat den Parlamentsauftrag, bis 2030 mindestens 1 Prozent des BIP für die Landesverteidigung aufzuwenden, erst bis 2035 erfüllen.
An jeder Generalversammlung erhält eine grössere Mitgliederorganisation der Allianz das Wort. 2023 sprach für die SOG deren Präsident Dominik Knill zu den Anwesenden. Aus seiner Sicht war es noch offen, ob beim gfs.bern so ein Parlaments-Ranking erneut in Auftrag gegeben werden soll.
Nach der Generalversammlung und einem Aperitif gesellten sich gespannte Gäste zu den schon anwesenden Mitgliedern. 45 Minuten referierte der erfahrene deutsche Diplomat und bis 2022 Vorsitzende der Münchner Sicherheitskonferenz, Prof. Dr. h.c. Wolfang Ischinger. Er stellte fest, dass die mit der KSZE-Akte von 1974 (heute OSZE) geschaffene europäische Sicherheitsarchitektur durch den Ukrainekrieg zerschlagen wurde. Russland arbeite seit 2007 systematisch daraufhin, den machtpolitischen Status Quo zu überwinden. Der zu diesem Zweck lancierte Ukraine-Krieg dürfte noch lange dauern und am Ende – wie schon der Zweite Weltkrieg – durch die kriegswirtschaftliche Stärke der USA entschieden werden. Ischinger erwartet, dass der russische Präsident den Krieg bis zu den US-Wahlen 2024 fortführt in der Hoffnung, dass sich dann in Washington isolationistische Tendenzen durchsetzen. Der chinesische Zwölfpunkteplan für eine Beendigung des Krieges müsste nach Ischingers Einschätzung ernster genommen werden.
Für sein Land konstatierte er, dass es sich nach der Wiedervereinigung regelrecht in die neu entstandene Weltordnung verliebt habe. Diese Liebe machte Berlin nicht nur blind für die Herausforderung dieser Ordnung durch Autokratien, sondern auch taub für die mahnenden Stimmen der eigenen Verbündeten. Umso tiefer sitzt jetzt in Berlin die Furcht, dass die amerikanische Schutzmacht Europa sich selbst überlassen könnte, bevor der alte Kontinent nachrüstet und lernt mit einer Stimme zu sprechen. Das Schweizer Publikum im Saal dürfte sich gefragt haben, inwiefern in der Schweizer Sicherheitspolitik liebgewonnene Wunschvorstellungen einer nüchternen Lagebeurteilung Platz gemacht haben.
Leider konnten diese und andere Fragen an der anschliessenden Paneldiskussion nicht mehr mit dem Referenten diskutiert werden. Eine kurzfristig aufgekommene Verpflichtung rief Wolfang Ischinger noch am selben Abend zurück nach Berlin. An der Paneldiskussion nahm Allianz-Präsident Burkart in der Zusatzrolle des Moderators teil. Mit dem Berner SVP-Ständerat Werner Salzmann und dem Chef der Armee, Korpskommandant Thomas Süssli, diskutierte er für die Schweiz aktuelle Fragen. Einen wichtigen Vorausblick machte Salzmann bei der allmählich heranrückenden Reform des Dienstpflichtmodells. Diese Reform wird zwangsläufig eine Volksabstimmung zur Folge haben. Damit steht für die Allianz Sicherheit Schweiz die nächste absehbare Bewährungsprobe fest.
Präsident Thierry Burkart machte an der Generalversammlung und am Podium klar, dass es für die Sicherheit der Schweiz einen «finanziellen Aufwuchs» für die Armee sowie einen gesamtkonzeptionellen Ansatz braucht. Beides wurde bislang nicht vom Bundesrat angestossen, sondern muss vom Parlament eingefordert werden muss. So ein konstruktiver Druck kann nur parteiübergreifend gelingen. Dass sich die Ständeräte Burkart und Salzmann an diesem Abend gegenseitig demonstrativ Anerkennung aussprachen, ist ein wichtiges Zeichen, dass dieser Druck auch in der nächsten Legislatur aufrechterhalten bleibt.