ASMZ | Sicherheit Schweiz
Martin Lerch
In den Medien – auch in der Schweiz – ist Ihre Ernennung zum Leiter des nationalen Corona-Krisenstabes im Bundeskanzleramt mit einiger Überraschung zur Kenntnis genommen worden. Nicht zuletzt deshalb, weil die neue Ampel-Regierung eine Militärperson für diese Aufgabe Kam die Ernennung zu dieser gesamtstaatlichen Aufgabe auch für Sie überraschend?
Carsten Breuer: Diese Ernennung erfüllt mich mit einer gehörigen Portion Respekt. Die Verantwortung, die mit dieser Aufgabe einhergeht, fühle ich jeden Tag. Nicht nur bei mir, sondern auch in der Ernsthaftigkeit und Betroffenheit, mit der alle Entscheidungsträger, politische, medizinische, gesellschaftliche sowie auch militärische, mit den Fragen um Corona umgehen. Und natürlich auch mein Team.
Mich hat die Entscheidung persönlich schon überrascht – ich habe bis zu dem Anruf, den ich am letzten Freitag im November bekam, nicht über diese Aufgabe nachgedacht. Allerdings hat mich auch die grosse gesellschaftliche Akzeptanz für einen Soldaten als Leiter des Krisenstabes im Bundeskanzleramt gefreut. Ich habe sehr viel Zuspruch für diese Aufgabe bekommen.
Bis zu jenem Zeitpunkt waren Sie als Chef des Kommandos Territoriale Aufgaben der Bundeswehr tätig und hatten unter anderem Aufgaben an den Schnittstellen und im Bereich der Kooperation zwischen zivilen Behörden und militärischen Organisationen – auch in der Schweiz - zu lösen. Hat Ihnen diese frühere Funktion bei Ihrer jüngsten Ernennung zum Vorteil gereicht?
Jede Verbindung mit der Schweiz gereicht einem zum Vorteil. Aber im Ernst: Ich habe in den ersten Phasen der Pandemie sehr häufig mit Divisionär Brüllisauer, dem Kommandeur der Territorialdivision 4 gesprochen. Die Schweiz war uns in Deutschland im Infektionsgeschehen um etwa zwei Wochen voraus. Deshalb konnte ich aus den Gesprächen sehr viel praktische Informationen gewinnen, sei es für den Aufbau von Behelfskrankenhäusern, sei es für das Betreiben von Impfzentren. Dieser Austausch ist es, der uns als internationale Gemeinschaft – als Nachbarn - stark macht. Hier in der Pandemie konnten wir diese theoretische Erkenntnis in die praktische Umsetzung bringen. Ich bin der Schweiz, ich bin Divisionär Brüllisauer sehr dankbar für diese enge Kooperation, die sicherlich einen gehörigen Teil des Erfolges ermöglicht hat.
Welche Erfahrungen sind für die Aufgabe als Chef des Corona-Krisenstabes besonders hilfreich?
Als Soldaten sind wir es gewohnt, Entscheidungen schnell auch ins Ungewisse zu treffen. Wir sind es nicht nur gewohnt, wir werden sogar genau dafür ausgebildet. Das hilft in jeder Lage: im Gefecht in Afghanistan oder in Mali genauso wie auf Übungen oder im Hochwassereinsatz an der rheinland-pfälzischen Ahr. Und auch im Corona-Einsatz. Egal ob bei Entscheidungen im Hilfeleistungseinsatz vor Ort oder auch als Leiter des Krisenstabes hier im Bundeskanzleramt.
Insofern haben die Erfahrungen aus der Kommandeurverwendung sicher geholfen. Noch viel mehr aber die gemeinsame Führungsausbildung an den Truppenschulen, aber vor allem an der Führungsakademie der Bundeswehr. Darüber hinaus hilft es natürlich, wenn man aus den verschiedenen Hilfeleistungseinsätzen föderale Strukturen und die, die in den Ländern Verantwortung tragen, gut kennt.
Allerdings ist mir eines über viele - meist militärische - Verwendungen klar geworden: Auch wenn jede Krise einzigartig ist, sind die Mechanismen zur Krisenbewältigung oftmals dieselben. Basis ist immer ein solides Lagebild, das fortwährend aktualisiert werden muss. Der Aufbau von an die Lage angepassten, aber vor allem schnell reaktions- und durchhaltefähigen Strukturen schafft die Voraussetzung nicht nur für den Ersteinsatz; die Strukturen ermöglichen es dem verantwortlichen Führer auch, den Überblick zu gewinnen und zu behalten – egal wie dynamisch sich die Lage auch entwickelt.
Als Generalmajor sind Sie es gewohnt, in militärischen Problemlösungsansätzen, Führungsabläufen und Hierarchien zu wirken. Als Leiter des Corona-Krisenstabes müssen Sie mit sehr unterschiedlichen Akteuren aus dem Gesundheitswesen, der Wissenschaft, der Wirtschaft oder der Innen- und Aussenpolitik kooperieren und interagieren. Inwiefern ist dieser militärische Background hilfreich - und wie ist die Akzeptanz dieses Ansatzes bei den anderen Akteuren?
Diese Abläufe, diese strukturierte Herangehensweise sind es, die ich als geeignetes Handwerkszeug für die Lösung in einer Krise sehe. Das ist eine Selbstverständlichkeit für alle, die dieses gelernt haben. Andere sehen oftmals die Vorteile in dieser Vorgehensweise: Man kommt schneller zu Lösungen, wenn auch nicht immer so integrativ. Man reduziert auf das Wesentliche, verliert dabei vielleicht aber einige Aspekte. Das muss und kann man in Kauf nehmen, denn es geht ja vorrangig um das Lösen einer Krise. Bürokratische Prozessorientierung, egal in welcher Organisation, schafft das nicht. Oder wie es einer meiner Vorgänger einmal formuliert hat: Krisen löst man nicht im Stuhlkreis – dafür ist regelmässig die Zeit nicht vorhanden.
Und dennoch: Am Ende muss man den Zeitpunkt finden, an dem man aus dem Krisenzustand wieder in den Normalzustand geordneter Stabsarbeit übergeht. Langfristige Lösungen schaffe ich nicht im Krisenmodus. Der bruchfreie Übergang von einem Zustand in den anderen ist sicherlich einer der Schlüssel zum Erfolg
Welches sind Ihre Hauptaufgaben als Leiter des Corona-Krisenstabes?
Der Krisenstab hat zwei wesentliche Aufträge. Zum einen soll er die Koordinierung zwischen den Bundes-Ressorts und zwischen Bund und Ländern in Sachen Corona optimieren. Zum anderen erstellen wir ein aktuelles und gemeinsames Lagebild und geben hierauf basierend Empfehlungen ab. Lagebild und Empfehlungen sind dann die Basis für die Entscheidungen der Politik und letzten Endes des Bundeskanzlers.
Ganz konkret haben wir für uns fünf Handlungslinien identifiziert, innerhalb derer wir agieren. Diese sind: Erstens die Impfquote erhöhen; zweitens Fallzahlen reduzieren; drittens Gesundheitsversorgung aufrechterhalten; viertens kritische Infrastrukturen schützen und schliesslich fünftens die strategische Vorausschau im Blick haben und Nachhaltigkeit unserer Massnahmen anlegen.
Mit dieser Bandbreite decken wir eine Vielzahl an Themen ab – von der Impfstofflogistik über kommunikative Massnahmen, um die Impfquote zu erhöhen, bis hin zu Best Practice, um zum Beispiel die Länder bei der Aufrechterhaltung ihrer kritischen Infrastrukturen zu unterstützen. Indem wir diese koordinierende Rolle sehr aktiv und gestaltend einnehmen, verschaffen wir uns auch das notwendige Lagebild in diesen Themenbereichen. Dieses Lagebild wird von meinem Team ausgewertet und wir leiten daraus Handlungsempfehlungen ab. Diese dem Bundeskanzler jederzeit zur Verfügung stellen zu können, ist ein weiteres wichtiges Element unseres Auftrages
Kommunizieren Sie direkt mit der Öffentlichkeit oder wird diese Aufgabe von der Regierung wahrgenommen?
Wir kommunizieren direkt, die Aufgaben des Krisenstabes sind von hohem öffentlichen Interesse. Da wir dem Bundeskanzler unmittelbar zugeordnet sind, erfolgt die Medienarbeit in direkter Absprache mit dem Regierungspressesprecher. Zudem twittert mein Team für mich und berichtet aktuell über unsere Arbeit. Die Bundesregierung hat eine umfangreiche Informationskampagne neu aufgelegt. Gemeinsam mit dem Bundespresseamt liegt die strategische Steuerung in unseren Händen. Insgesamt habe ich mir zum Ziel gesetzt, transparent über unsere Arbeit zu berichten und aktiv zu einem soliden Informationsstand zur Pandemie beizutragen.
Welche Rolle hatte die Bundeswehr bei der Bewältigung der Corona-Krise bisher und welche könnte es in Zukunft sein?
Mit dem Zeitpunkt der Ernennung zum Leiter Corona-Krisenstab im Bundeskanzleramt Anfang Dezember habe ich die Aufgaben als Kommandeur Kommando Territoriale Aufgaben an meinen Stellvertreter Brigadegeneral Andreas Henne übertragen. Durch ihn und von dort aus dem Kommando wird die Amtshilfe der Bundeswehr in der Pandemie weiterhin gesteuert. Die Unterstützung durch die Bundeswehr hat sich im Laufe der Zeit der Pandemie stets angepasst: personelle Unterstützung in Pflegeheimen und Krankenhäusern, Kontaktverfolgung in Gesundheitsämtern, Aufbau und Betrieb von Impfzentren, Durchführen von Corona-Tests sowie der Betrieb der nationalen Impfstoffverteilung. Insgesamt waren und sind viele zehntausende Soldaten, vom Matrosen bis zum General, an der Amtshilfe beteiligt.
Wie beurteilen Sie den «Schweizer Ansatz» bei der Bewältigung der Corona-Pandemie?
Aus meiner Sicht sind die Corona-Massnahmen in der Schweiz gut mit jenen in der Bundesrepublik Deutschland vergleichbar. Parallelen sind sowohl in den gesetzlichen Regelungen als auch in der Kommunikationsstrategie gegenüber der Öffentlichkeit erkennbar. So hat die Schweiz beispielsweise auf eine mit der deutschen App vergleichbare Swiss Covid App gesetzt, mit der Risikobegegnungen erkannt werden und eine mögliche Ansteckung an den Nutzer gemeldet wird. Auch weitere Massnahmen wie die Home-Office-Pflicht sowie die «Zertifikatspflicht» für Innenräume waren und sind mit bundesdeutschen Regelungen vergleichbar. Auch orientiert sich die Schweiz seit Herbst 2021 nicht mehr primär an der Inzidenz, sondern an der Auslastung der Intensivstationen. Ein aus meiner Sicht guter Weg zur zusätzlichen Entlastung der PCR-Testkapazitäten ist die Möglichkeit, die Isolierung seit dem 24. Januar auch mit einem negativen Antigen-Schnelltest und einem Zertifikat für Genesene beenden zu können. Hierbei verfolgen wir in Deutschland einen ähnlichen Weg. Ich bin zuversichtlich, dass beide Länder einen guten und sicheren Weg aus der Pandemie finden.
Hat die Pandemie die Gesellschaft verändert?
Die Pandemie trifft die Menschen in unserem Land in sehr unterschiedlichem Masse. Die Zeit des Durchhaltens dauert nun schon zwei Jahre an – die Menschen sind müde von den immer neuen Infektionswellen und einschränkenden Massnahmen gegen die Infektionsausbreitung. Die Menschen haben Angst um ihre Arbeitsplätze, sie sorgen sich um die Entwicklung der eigenen Kinder. Einsamkeit verstärkt sich. Viele sorgen sich um den Zusammenhalt der Gesellschaft. Meinungen, wie die Pandemie überwunden werden kann, gehen teilweise weit auseinander. Damit gehen Frustrationen einher – alle wollen die Pandemie endlich hinter sich lassen. Eins ist dabei klar: Je mehr wir zusammenhalten, desto eher und besser werden wir aus der Pandemie herauskommen.
Auch für die Bundeswehr hat die Pandemie einiges verändert. Wir sind seit langem wieder in der Öffentlichkeit deutlich sichtbar. Das Feedback zur Amtshilfe ist ausgesprochen positiv. Das erhöht die Akzeptanz der Bundeswehr in der Gesellschaft auch wenn eines dabei immer klarbleiben muss: Der Bund stellt Streitkräfte zur Verteidigung auf.
Hat die Pandemie einen Einfluss auf das internationale Machtgefüge?
Dies wird sich, wenn überhaupt, erst in einigen Jahren beantworten lassen. Die Auswirkungen der Pandemie auf das innere Gefüge der Staaten, auf deren Beziehungen zueinander und auf die Weltwirtschaft waren und sind vielschichtig. Festzustellen ist, dass unsere westlich liberalen Demokratien durch autoritäre Gesellschaftsentwürfe herausgefordert werden – im Krieg in der Ukraine sehen wir dies sehr deutlich. Deshalb müssen wir die Stärken unseres demokratischen Gemeinwesens deutlicher in den Fokus rücken. Zweifellos müssen wir uns dabei auch an den Erfolgen in der Pandemiebekämpfung messen lassen. International betrachtet ist die Pandemiebekämpfung sicherlich nicht nur eine Erfolgsgeschichte. Trotz unserer internationalen Verwobenheit, trotz der Mitgliedschaft der meisten Staaten in den verschiedenen internationalen Organisationen, war die erste Reaktion bei fast allen Nationen schon beinahe reflexartig und protektionistisch das Schliessen der Grenzen und ein Rückfall auf eine jeweils nationale Pandemiebekämpfung. Die Schwierigkeiten dieses Vorgehens liegen auf der Hand. Schon der Name Pandemie zeigt auf, wie eingeschränkt ein nationaler Weg nur sein kann. Nur mit einer weltweit hohen Impfquote und weltweit verfügbarem Impfstoff werden wir auf lange Sicht wieder zu einem «vor-pandemischen Leben» zurückkehren können. Das Virus kennt keine Grenzen und unterscheidet weder zwischen Demokratien und autoritären Staaten noch zwischen armen und reichen Ländern.
geboren am 01. Dezember 1964 in Letmathe, Nordrhein-Westfalen, verheiratet, drei Kinder